Wer lernen will, ist willkommen

Was ist Shinson Hapkido? Woher kommt diese Kampfkunst? Und was macht man da überhaupt? Ein Interview mit Sabomnim Uwe Bujack über die Bedeutung, die Geschichte und darüber wer was warum trainiert. Das Interview führte Kirsten Rick im Juni 2015.

Die Bedeutung

Was ist Hapkido?

Eigentlich müsste man fragen: Was ist Shinson Hapkido? Hapkido selber ist ein Begriff, des sehr vielfältig interpretiert wird. In Korea gibt es rund 40 verschiedene Verbände mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Wir haben dort Leute getroffen, die stolz erzählten, was für Geheimdienstoffiziere sie ausbilden. Da hatten wir nur noch Fragezeichen in den Augen. Deshalb: Shinson Hapkido.

Was ist denn Shinson Hapkido?

Man könnte es so übersetzen: Hap ist Harmonie, Ki ist Energie und Do ist das Urprinzip des Universums oder die Methode, etwas zu tun – beides. Interessanterweise kommt der Begriff Methode aus dem Griechischen und heißt auch „über den Weg gehen“. Es ist die Art und Weise, wie man etwas tut oder irgendwo hinkommt, aber es ist gleichzeitig auch das Grundprinzip. Das heißt, wir haben einerseits die Methode, das Urprinzip des Universums zu erreichen und andererseits das Urprinzip selber. Das ist eine typische Doppelbedeutung, die es sehr schwierig macht, das wirklich auf einen Punkt zu bringen. Deshalb gibt es sehr viele Interpretationen. Der Begriff Hapki heißt wörtlich auch „Energie bewegen“. „Die Art und Weise, Energie zu bewegen“, kann man Hapkido übersetzen. Aber Kido heißt auch beten, in Einklang mit dem Universum kommen. Das hieße dann „Harmonisch in Einklang mit dem Universum kommen“, das wäre eine sehr spirituelle Art und Weise, das zu interpretieren. Oder man lässt die Begriffe einfach nebeneinander existieren: Hap, Ki und Do – und trainiert Harmonie, trainiert Energie und begibt sich auf den Weg. Das ist immer Interpretationssache.

Man hat also die Möglichkeit, das Spirituelle aufzunehmen oder …

… das einfach wegzulassen. Ja, genau.

Und Hapkido rein als Sport zu betreiben?

Man macht schon einen Unterschied zwischen Do und Sport. Das ist wichtig. Sonsanim Ko Myong formuliert das so: Beim Sport geht es ums Gewinnen und Verlieren. Beim Do geht es ums Leben und Sterben.

Das Schriftzeichen Mudo heißt Kampfkunst und auch der Weg der Leere. Die Japaner nennen dasselbe Schriftzeichen Budo. Und Bu heißt im Japanischen Krieg. Die Budo-Sportarten wie Judo, Taekwando und so weiter, die haben eher eine kriegerische Tradition. In Korea hatte das auch ein bisschen diesen Charakter, ganz klar, aber da war die Verwurzelung in dem Spirituellen, in dem Prinzip des Mu, stärker.

Der Begriff Shinson ist erst 1993, 1994 dazu gekommen und bezieht sich auf den ganz alten koreanischen Begriff „Shinson In“, das sind die Erleuchteten. In heißt Mensch. Shin ist Geist, Son ist Einklang mit der Natur. Und gleichzeitig im Buddhismus heißt der Begriff Son Meditation. Wenn man das jetzt buddhistisch betrachten würde, heißt Shinson eine spezielle Form von geistiger Meditation. Aber die ursprüngliche Bedeutung ist, im Einklang mit der Natur oder dem Universum zu sein oder im Einklang mit dem Wesen der Natur. Shinson Hapkido heißt also, wenn man alle fünf Silben zusammen übersetzt: der Weg, mit der Lebenskraft in Harmonie zu kommen auf Basis des Einklangs mit der Natur.

Die Geschichte

Wo kommt Shinson Hapkido her?

Aus Korea. Ich hole einfach mal ein bisschen weiter aus: In Korea gab es diese Familien und die Klöster. Der Begriff Ka, HapkidoKa oder JudoKa, bezieht sich auf einen Stammesverband, eine Familie, einen Clan. Das heißt, HapkidoKa war die Hapkido-Familie. Und innerhalb der Familie wurde Know How weitergegeben, landwirtschaftliches, medizinisches, aber auch kriegerisches Know How. Da gab es natürlich verschiedene Schulen, je nachdem, welche verschiedenen Kräfte in Korea die Oberhand hatten: Konfuzianismus, Buddhismus oder Schamanismus. In allen drei Bereichen wurden bestimmte Techniken immer weiter entwickelt. Aber es gab nie eine Vereinheitlichung dessen, was man macht. In Japan dagegen hat diese Akademisierung, diese Verschriftlichung, schon mit der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert angesetzt. Die Japaner hatten aber ab 1905 Korea besetzt. Bis 1945 war Korea japanische Kolonie. Die Koreaner durften nicht mehr Koreanisch sprechen, die Familiennamen wurden alle japanisiert und ganz viele Kulturschätze und Kultur-Know-How wurden nach Japan transportiert. Rund um den koreanischen Königspalast haben die Japaner bestimmte Bauwerke errichtet, um die Energie zu blockieren, die Feng Shui Energie. Sie haben die Kolonialverwaltung so gebaut, dass der Palast nicht mehr sichtbar war. Sie haben auch Eisenpfähle um den Königspalast herum in die Berge gerammt, wie riesige Akupunkturnadeln, um die kosmische Energie, dieses Ki, von dem Königspalast abzulenken. Damit diese Macht, der Königspalast als Repräsentation der Unabhängigkeit Koreas, gestört wird. Und in diesem Zug sind auch sind einige Kampfkunstlehrer aus den Familien nach Japan geholt worden.

Der Begriff Hapkido selber ist in Anlehnung an Aikido entstanden. Und Aikido ist ja in den 20er Jahren von Ueshiba in Japan entwickelt worden. Und dessen Lehrer Takeda hat auch einen Mann namens Choi ausgebildet, der aus Korea kam und in Japan erzogen wurde. Choi ist nach dem Koreakrieg wieder zurück in seine Heimat gegangen und hat dort dann dort, ähnlich wie Ueshiba dieses Aikido, in Korea etwas ähnliches gemacht.

Aikido und Hapkido haben also die gleichen Wurzeln?

Ai ist die japanische Aussprache des gleichen Schriftzeichens wie Hap im Koreanischen. Ai heißt Harmonie und Liebe und Hap ebenfalls.

Unter dem Namen Hapkido haben sich verschiedene Stile ausgebildet. Sonsanim Ko hat zum Beispiel Kuk Sool Kwan gelernt. Kuk Sool heißt Kampfkunst der Koreaner. Das ist alles in den 50er und 60er Jahren passiert, das muss einem klar werden. Jede Kampfkunst behauptet für sich: Uns gab es schon vor 5000 Jahren! Das ist natürlich absoluter Quatsch. Diese Rückführung auf uralte Traditionen, das ist reine Willkür, das ist nicht historisch belegt. Karate ist in den 30er Jahren entstanden, Judo um die Jahrhundertwende und Aikido ist in den 20er Jahren. Davor war das alles familiär organisiert, es gab keine festen Systeme.

Der Begründer von Shinson Hapkido

Wie ist die Geschichte von Sonsanim Ko Myong, der das System Shinson Hapkido entwickelt und nach Deutschland gebracht hat?

Sonsanim Ko Myong kam in ein buddhistisches Kloster geschickt, mit sechs Jahren. Er ist immer mal wieder abgehauen, es war kein schönes Leben im Kloster. Mit 12 oder 13 hat er angefangen, Kampfkunst zu lernen, intensiv, bei verschiedenen Lehrern. Er hat versucht, aus drei Quellen was zu bauen. Erstens aus dieser Kampfkunstrichtung, dem Hapkido. Zweitens hat er den medizinischen Zweig, die Lehre von den fünf Elementen, die Lehre von den drei Lebenskräften, mit hineinzunehmen und viele Techniken stärker auf Akupunkturpunkte, auf Meridianwirkung zu fokussieren. Und destruktive Sachen rauszunehmen. Die Hebelwirkung bleibt, die destruktive Wirkung wird aufgegeben, dafür wird die Gesundheitswirkung, die Akkupressurwirkung verstärkt. Als Drittes ist die Meditation dazugekommen. Sonsanim Ko Myong hat bei dem berühmtesten buddhistischen Meister Koreas gelernt, Chong Hwa. Der ist solange er lebte diese Autorität gewesen, vielleicht wie der Dalai Lama bei den Tibetern. Aber Sonsanim Ko war der Meinung: Ich darf nicht im Kloster bleiben, ich muss zu den Menschen.

Das ganze hieß früher Kungjungmusul Hapkido, das heißt „die geheime Kampfkunst des königlichen Hauses“. Sonsanim hat das bewusst geändert. Seine Idee war, Techniken, Wissen, Know How, das elitär tradiert war, allgemein verfügbar zu machen, zu verbreiten. Er hat aber gemerkt, dass die Verwurzelung oder die Rückführung auf die historische koreanische Wurzel immer wieder das Koreanische hineintransportiert – und das ist natürlich für Europäer so: es bleibt etwas Fremdes. Da hat er überlegt: Was ist eigentlich vor diesem Königlichen gewesen? Wenn man, egal in welcher Kultur, immer weiter fragt: Was war davor? Wo kommt es her? Wo ist die Wurzel?, dann kommt man schnell darauf: Das ist die Auseinandersetzung mit der Natur. Und das ist etwas, das allen Kulturen gleich ist. Deshalb ist Shinson Hapkido zwar in Korea entstanden, ist aber vom Wesen her nicht notwendig etwas Koreanisches, sondern das kann jeder für sich in seiner Art und Weise nutzen.

Der Inhalt

Was ist der Inhalt von Shinson Hapkido?

Was wir lernen: Die Meditationstradition, die medizinische Tradition und die Kampfkunsttradition. Aber: Das ganze ist nicht einfach irgendwie miteinander vermischt oder zusammengestückelt, sondern es wurde – oder wird, es ist noch nicht ganz fertig – bewusst eine Synthese angestrebt. Man sucht nach den Wurzeln: Von der Ki-Arbeit in der Gesundheitslehre, von den Bewegungen in der Kampfkunstlehre und von dem Geistigen. Man guckt zum Beispiel: Was ist die Wirkung von Meditation? Und da findet man viele Sachen: Atemübungen und gleichzeitig einen spirituellen Aspekt. Den benutzt man, um hinter die Techniken, hinter die Prinzipien zu gucken.

Meditation ist der spirituelle Kern, dann gibt es den medizinischen Mantel, die Energiearbeit, die man sowohl in der Kampf- als auch in der Heilkunst einsetzt und als drittes den Bewegungs-Teil, der erst mal äußerlich am einfachsten anzufassen ist, weil der sehr konkret ist. Aber mit der Zeit führt auch der nach innen. Das heißt: Du machst etwas Äußeres, guckst Dir das an, lernst das und fängst an, das zu trainieren. Und irgendwann beginnst du, das zu verstehen. Und dann bekommst du einen anderen Zugang zu den inneren Lehren, die in der Meditation drinstecken – wenn du eine Fülle von Erfahrungen gemacht hast.

Das kommt dann einfach, wenn ich mich darauf einlasse?

Ja, so sind die Techniken aufgebaut. Wenn man es mal ganz genau sieht, macht ein Weißgürtel nichts anderes als ein Schwarzgürtel oder der Schwarzgürtel macht nichts anderes als ein Weißgürtel. Das heißt: er macht z.B. Handbefreiungstechniken. Aber die verändern sich im Laufe des Lernens. Man lernt, nicht nur mit der Grobmotorik zu arbeiten, sondern mit vielen kleinen Impulsen, mit dem Gefühl, jemanden an eine Grenze zu führen und dann kurz über die Grenze rüberzugehen – so als Potenzial. Diese Verfeinerung, diese Ausarbeitung, die ist das eigentliche Training. Das geht dann in die Breite, aber auch in die Tiefe. Und es ist nicht so, dass man immer mehr drauf packt.

Es geht also nicht um die Masse, die Menge an Techniken?

Genau. Es ist eine Vertiefung und eine Ausarbeitung dessen. Das ist ganz typisch für diese inneren Kampfkünste, wie im Tai Chi auch. Shinson Hapkido hat beides: den inneren und den äusseren Aspekt. In der chinesischer Kampfkunst haben wir zum Beispiel die innere Kampfkunst Tai Chi und die äußere Kampfkunst Kung Fu. Beim Shinson Hapkido ist beides in einem. Das macht es auch so schwierig, das zu lernen.

Die Prüfungen

Wie lange braucht man, bis man einen schwarzen Gürtel bekommt?

Die Dan-Prüfung machen manche schon nach fünf, die meisten aber erst nach acht Jahren. Das ist besser, weil das Lernen so komplex ist.

Und dann sind diese Prüfungen sehr lang, sehr ausführlich, sehr hart.

Im Judo ist es so, dass die Prüfung sehr kurz ist, aber du musst vorher viele Lehrgänge machen. Dann machst du die Dan-Prüfung, die selber ist sehr kurz. Bei uns gibt es dieses ganze Lehrgangssystem nicht, weil es auch keine Wettkämpfe gibt. Es ist ein sehr individuelles Lernen, dazu kommen große gemeinschaftliche Events wie das Sommerlager. Die Prüfung selber ist aber wirklich eine Initation, die über vier Tage geht. Einen Tag Theorie, das sind acht bis neun Stunden Klausur. Das ist schon hart. Und dann drei Tage Praxis – 40 Stunden kommen da zusammen. Dabei wird auch, aber nicht nur die Technik abgefragt. Es geht auch ums Durchhalten, um Aufmerksamkeit, um den Umgang miteinander, darum, in Frustsituationen trotzdem noch eine Haltung zu bewahren. Dadurch bekommt die Prüfung eine Kraft, die über dieses sportliche, hobbymäßige hinausgeht. Sie bekommt eine Bedeutung – und deshalb tun sich viele auch so schwer, das zu machen. Man spürt das sofort. Das macht man nicht so eben nebenbei, weil man noch einen Titel braucht. Das funktioniert nicht.

Schon die Prüfung zum Gelbgürtel dauert einen halben Tag lang. Jede Prüfung ist also ein Initiationsritus?

Ja, genau. Jede Prüfung hat was davon. Man stolpert in eine Dan-Prüfung ja nicht rein, sondern wird herangeführt. Von der technischen Seite aus könnte man auf die Prüfung verzichten. Man könnte sagen: Ich sehe im Training, die Person macht die Technik gut, geht auch mit den anderen gut um, hat gelernt, das kann ich so akzeptieren – dann könnte ich jemandem den Gürtel verleihen. Dann würde aber der Initiationsritus verloren gehen. Denn die Initiation lebt ja davon, dass man gemeinsam anfängt und gemeinsam aufhört. Das etwas gemeinsam erlebt wird, ein Kreis, ein Erlebenskreis. Der Aufbau der Prüfung ist sehr genau ausgearbeitet. Man muss, wenn man prüfen will, über einen längeren Zeitraum studieren, was da eigentlich passiert. Ich habe mich in Prüfungen immer schwer getan, habe auch selber als Prüfer bestimmt schon viele Fehler gemacht. Trotzdem schätze ich die Prüfung sehr. Ich schätze sie sehr als Initiationsritual oder als Reinigungsprozess. Weil ich glaube, es ist wichtig, gesagt zu bekommen: Es ist gut, was du machst. Es ist wichtig, etwas zu erleben, was man sonst nicht erlebt, besonders in unserem Alltag. Wir kennen Prüfungen ja sonst nur als Leistungsnachweis. Und Gemeinschaftserlebnisse, die mit Bewegung zu tun haben und die einen Rahmen haben, werden ja immer seltener. Trotzdem glaube ich, dass so etwas eine große Bedeutung hat. Denn die Leute kommen sich dabei auf eine Art und Weise näher, die schwierig zu beschreiben ist. Man sieht, wie sie sich entwickeln – und nicht nur technisch.

Wer trainiert?

Wer trainiert alles? 

In Hamburg bieten wir für jeden etwas an, von den Krabbelkindern bis zu den Senioren. Und das ist genau das Spektrum. Die Idee ist: Shinson Hapkido ist wie Wasser. Das heißt, ein Medium, etwas, das auch selber beweglich ist und so an viele Situationen angepasst werden kann. Dadurch kann eigentlich jeder trainieren. Die Reduktion auf den Kern, auf das Wesen menschlicher Bewegung lässt dann viele verschiedene Ausformungen zu. Dadurch kann man unheimlich viel anpassen. Für Helga, die mit 82 Jahren Blaugürtel-Prüfung macht und für Dreijährige, die sich frei im Dojang bewegen und darüber von alleine mitkriegen, was dort passiert.

Es kann also jeder zum Training kommen und das Training wird individualisiert?

Ja, das ist der Anspruch. Das ist aber nicht immer ganz einfach. Eigentlich kann man sagen, das ist Gemeinschaftstraining und da kann von klein bis groß, von talentiert bis untalentiert, jeder kommen. Im Idealfall kriegt der Trainer das hin, das so zu harmonisieren, dass jeder etwas davon hat. Es gibt aber auch spezielle Gruppen. Kinder haben eine andere Energie als Erwachsene und es macht für Kinder auch mehr Spaß, mit anderen Kindern zu trainieren. Das ist klar. Und trotzdem sind auch diese Kindergruppen gemischt, da sind zum Beispiel auch Kinder mit Down Syndrom. Dann haben wir z.B. diese Palette-Gruppe, die mit Substituierten aus dem Drogenmilieu arbeitet. Die haben wir deshalb aufgemacht, weil das für die niedrigschwelliger und einfacher ist, in so eine Gruppe zu gehen, wo sie wissen, sie können auch mal fehlen und nach dem fünften Mal fehlen trotzdem wiederkommen. Das würden die sich in einem normalen Anfängertraining einfach nicht trauen. Deshalb gibt es das. Diese Idee wurde an uns herangetragen. Genauso die Idee mit der Krabbelgruppe: Es gab Leute mit kleinen Kindern und was macht man mit denen? Das haben wir etwas angeboten. Oder die Senioren, die neben dem Dojang wohnen, kamen an und fragten: Was macht ihr da eigentlich? So kam es zum Seniorentraining. Das ist ein sehr wichtiges Prinzip, weil diese Integration auch von körperlichen Erfahrungen, von emotionalen und geistigen Erfahrungen in seinem Alltag, von sich selber in seinem Bild, beinhaltet ja auch eine Integration auf einer sozialen Ebene, auf der Gemeinschaftsebene. Das heißt, wenn man irgendwo etwas tut, dann tut man das ja nicht auf einer Insel, sondern immer im Zusammenhang. Man muss sich mit dem Ort auch auseinandersetzen. Und entweder man kapselt sich ab, auch räumlich oder finanziell, oder man ideologisiert und missioniert oder man versucht, den Leuten zu begegnen, lädt sie ein. Das ist dieses Wasser-Prinzip: Das Anpassung überall funktionieren sollte.

Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen? 

Nur eine: Die Lust, zu lernen. Das ist wichtig. Es gibt in der Dan-Prüfung immer die Frage: Wem darf man den Zutritt zum Dojang verweigern? Nur jemandem, der nicht Do trainieren will. Aber wodurch äußert sich das? Indem er andere im Training schädigt. Das ist der einzige Grund. Wenn jetzt ein Mörder kommt und sich im Dojang vor der Polizei verstecken will, kann ich natürlich sagen: Bitte geh! Aber wenn der kommt und sagt: „Ich will etwas lernen“, dann muss ich ihn, von diesem Ideal her, gegen die Polizei schützen. Das ist wie in einer Kirche. Ich hatte die Situation wirklich schon. Ein Skinhead, der aus der Jugendhaftanstalt geflohen war und eine Frau besucht hatte, die bei uns trainierte. Er wusste nicht, wohin, da hat sie ihn zum Training mitgebracht. Da stand dann ein straffälliger Skinhead vor mir und ich habe überlegt: Was machst du nun mit dem? Okay, wir trainieren jetzt. Ich habe natürlich auch ein bisschen Gehirnwäsche gemacht, habe immer auf den Friedensaspekt hingewiesen, aber ansonsten ganz normales Training gemacht. Dann ist er wieder in den Knast zurückgegangen, freiwillig. Und ist später wiedergekommen, hat noch ein paar Jahre trainiert, ist dann aber verschwunden.

Hast Du denn schon jemanden rausgeschmissen?

Ja. Leute, die nicht zuhören wollten. Die immer dasselbe gefragt haben, aber nicht aus einer Not heraus, sondern aus Provokation. Die wollten es wissen. Ich habe sie nicht rausgeschmissen, aber ich habe denen gezeigt, wie es geht.

Du hast geantwortet?

Ja, ich habe geantwortet. Das hat auch zu Stress geführt. Es kommen immer wieder Leute, die die Technik haben wollen. Die gehen sehr schnell wieder, weil die merken, das ist bei uns nicht so einfach. Die haben nichts davon. Wenn sie ein Jahr lang trainieren, haben sie immer noch nichts gelernt.

Das ist ja kein Straßenkampf.

Genau. Die Polizei hat uns auch schon oft besucht, weil die wissen wollten, was wir machen. Eine Kampfkunstschule auf dem Kiez, das ist ja schon mal schiefgegangen. Dacascos Kung Fu, da haben viele Luden trainiert und Gangs aufgebaut, das war in den 80er Jahren. Dacascos hat aufgehört, ist weggegangen aus Hamburg. Ich glaube, das war so mit ein Grund, warum die Polizei am Anfang kam. Die haben sich nicht vorgestellt: Wir sind die Polizei. Das waren nur auffällig kräftige, freundliche und aufmerksame junge Männer, die beim zweiten Mal wieder weg waren und die so sehr nach Spitzel aussehen. Das sind so Fälle, wo man sagen würde, wenn man es mitkriegt: Okay, tut mir leid, aber das ist nicht dein Zuhause hier. Aber ansonsten kann jeder kommen.

Die Gründe

Was für Gründe gibt es, zu trainieren? 

Für viele Leute ist Gesundheit ein Thema, Vitalität ist ein Thema, Unsicherheitsgefühl, Angstgefühle, Bedrohungsgefühle. Aber bei vielen ist es auch etwas Positives: Die Lust auf etwas. Die sehen das Haus, die sehen, was passiert, es spricht sie an und sie fühlen sich davon angezogen.

Und Deine Gründe?

Bei mir persönlich: Ich habe als Kind Judo gemacht, 12 Jahre lang, bis 19. Ich habe Leistungssport gemacht, ich habe viel verloren, viel eingesteckt. Irgendwann habe ich angefangen, zu gewinnen, habe richtig trainiert.

Judo ist, im Gegensatz zum Shinson Hapkido, ein Wettkampfsport. 

Ja, das habe ich auch gemacht, Wettkämpfe. Und ich habe damit aufgehört, weil mein Körper sich gegen dieses Leistungsding wehrte. Und mein Inneres auch. Beim Training auf einem bestimmten Niveau gibt es Auswahllehrgänge. Schon beim Training wird man von manchen Leuten fertig gemacht, weil die wissen, du landest bei denen in der Gewichtsklasse in der Deutschen Meisterschaft. Die sind so drauf, die versuchen, einem Angst zu machen. Damit man, wenn man auf die trifft, schon mal beeindruckt ist, Angst hat und dann nicht so kämpft, wie man eigentlich könnte. Solche Strukturen gibt es, das ist da sehr ausgeprägt. Ich hatte keine Lust mehr auf diesen Kampf. Ich habe Rheuma bekommen, meine Gelenke wurden immer dicker, sind geschwollen, ich habe Schmerzen gehabt.

Das waren ja massive Warnzeichen.

Ja. Und dann habe ich aufgehört, bin aus einer sehr chaotischen Lebenssituation heraus nach Hamburg gekommen, habe gesagt: ich fange etwas Neues an. Ein neuer Ort, ein neues Studium, alles neu an. Und ich wollte mich bewegen. Da war ich kurz beim Judo, habe mich sofort verletzt. Richtig verletzt, so dass ich mein Knie über Jahre nicht bewegen konnte. Und bin dann zu einer Ki-Heilerin gekommen, in einem Frauenselbsthilfeladen in der Marktstraße. Sie hat dieses Reiki mit mir praktiziert und das hat sofort angeschlagen. Das war das erste Mal, wo ich diesem Thema Ki begegnete und war total fasziniert. Und ich habe bei meinem Job, den ich damals auf der Reeperbahn machte, in einem Restaurant …

Du warst in der Creperie, nicht wahr?

Genau. Da habe ich Thomas kennen gelernt. Und Thomas hat damals den ersten Hapkido Ausbildungslehrgang gemacht. Thomas und ich hatten direkt einen Draht zueinander, wir sind auch gleich alt. Ich hatte relativ viel Trainingserfahrung durch die Judo-Karriere, hatte relativ viel Know-how, weil ich ja selber auch unterrichtet habe. Wir haben uns ausgetauscht und ich hatte plötzlich Lust, das kennenzulernen. Ich habe vorher mal getanzt, mal Aikido gemacht, das war alles nicht das Richtige. Und da habe ich plötzlich etwas gespürt. Mich hat dieses ganze Kampfkunst-Thema überhaupt nicht mehr interessiert, null, aber dieses Energie bewegen und dieses Kathartische auf der einen Seite und das ein bisschen schamanisch anmutende. Auf jeden Fall machte es direkt Klick. Thomas hat ganz schnell kapiert, dass er mich mit Ko in Kontakt bringen muss. Ich bin ein paar Monate später schon zu ihm nach Darmstadt gefahren und habe Sonsanim Ko kennengelernt und direkt eine sehr enge Beziehung zu ihm gehabt. Was heißt eng – da war etwas Persönliches. Das ist eigentlich der Grund, warum ich dabei geblieben bin. Ich hatte vorher Philosophie studiert, habe immer dieses Bewegungsthema gehabt, da konnte ich viele Sachen miteinander verbinden. Das war mein persönlicher Grund, warum ich damit angefangen habe. Mich hat immer diese Entwicklung einer Gemeinschaft beschäftigt, auch in den autonomen Zirkeln, in denen ich mich bewegt habe.

Das Training

Zu den praktischen Aspekten des Trainings: Was genau wird unterrichtet?

Ein normales Training beginnt mit dem Grüßen, einfach, um den Eingang zu finden. Dann folgt eine Harmonisierungsgymnastik, die aus spielerischen Übungen besteht. Das Ziel ist, herauszufinden, wie man drauf ist, Körper und Geist miteinander in Kontakt zu bringen, aber auch mit der Gruppe und dem Raum Kontakt aufzunehmen. Das gibt auch den Trainern die Möglichkeit zu sehen, wie die Stimmung ist. Dann folgt eine kurze Meditation, danach Grundgymnastik. Die Grundgymnastik kann man variieren, da kann man Gesundheitsaspekte einbauen oder den Schwerpunkt auf Kondition legen. Dann geht es los, technisch gesehen, mit Stellungen und Atemtechniken. Die gehören zu den Grundtechniken. Die Stellungen und Haltungen sollen das Körperbild komplettieren. Das ist ein sehr wichtiger und sehr komplexer Aspekt. Der wird nur ansatzweise erklärt und viel praktiziert. Diese Haltung, die man hat, fließt natürlich in alles andere ein. Dann kommen die Atemtechniken, das ist ein Versuch, Energie zu bewegen, Energie zu spüren, Energie aufzubauen. Am Anfang lernt man fünf Grundtechniken, die man über mehrere Jahre praktiziert, dann fängt man an zu variieren. Dann bewege ich den Oberkörper und die Hände. Die Frage: Wie benutze ich das, um etwas aufzunehmen und umzuleiten, also Verteidigungstechniken. Oder um Impulse nach aussen zu setzen, von verschiedenen Körperteilen, Körperrichtungen. Dasselbe kommt dann mit den Füßen und Beinen. Wobei die Hände auch einen ganz bestimmten Gesundheitsaspekt haben, der mit dem Oberkörper zu tun hat, mit Lunge, Herz, Hormonkreislauf und solchen Sachen. Während die Füße und die Beine sehr viel mit dem Unterbauch, also Leber, Magen, Milz, Pankreas, Blase, Geschlechtsorgane zu tun haben.

Die Hand- und Fußtechniken wirken also auf die Organe?

Ja, die wirken über die Meridiane und auch direkt auf die Organe. Als Beispiel: Liegestütze kann man in einer Kaserne so machen, dass sie die Persönlichkeit zerstören. Das ist eine typische Demutsübung. Man kann Liegestütze aber auch so anleiten, dass jeder Lust hat, ein paar davon zu machen. Die wirken natürlich über die Muskulatur, über den Brustkorb, direkt in den Herzbereich. Und auch der Handballen selber hat bestimmte Punkte, die mit dem Herz zusammenhängen. Dieses Kraft geben aus der Mitte heraus, das schult sämtliche Systeme.

Liegestütze geben den Herzen Kraft, könnte man verkürzt sagen?

Ja, zum Beispiel. Aber man darf sie nicht destruktiv, also als Strafe einsetzen. Man darf sie auch nicht übertreiben. Man kann sie auch auf Knien machen – um das Herz zu stärken, nur als Beispiel. Alle Tritte bewegen die Hüfte. Die Hüfte bewegt ganz viele Strukturen im Unterleib, die ganze Muskulatur, die Hüftbeuger, den ganzen Apparat, der an der Lendenwirbelsäule ansetzt. Gleichzeitig ist immer das Zwerchfell beteiligt. Wenn man das anatomisch analysieren will: Die Haltemuskulatur der Hüfte und das Zwerchfell sind so eng miteinander verknüpft, dass das wirklich eine Kommunikation zwischen unten und oben ist. Das heißt, die Lunge weitet sich, das Zwerchfell drückt die Bauchorgane, die massieren sich, die Bauchorgane drücken die Bauchdecke, die drückt wieder hoch. Das Zwerchfell ist der Kommunikator zwischen oben und unten. Je mehr man oben macht, umso mehr trainiert man das untere automatisch mit – und anders herum. Man setzt Schwerpunkte und versucht das immer wieder zu harmonisieren – so ist das Training aufgebaut: Obere und untere Körperhälfte und Fallübungen. Fallübungen trainieren den ganzen Körper, vorne, hinten, links, rechts. Zu jedem Programm – also Handtechnik, Fußtechnik, Fallübungen, die Su-Übungen (Befreiungstechniken) – lernt man als Lehrer auch: welche Gesundheitsaspekte stecken da drin? Welche technischen Aspekte sind da drin? Und welche philosophischen Aspekte sind da drin? Ja, die Techniken haben auch philosophische Aspekte. Ein Beispiel: Der Vorwärtssturz als Fallübung stärkt das Herz, die Brust, aber du hast auch diese Kraft, um jemanden zu umarmen. Und das Umarmen ist ja etwas sehr Menschliches. Tiere können sich nicht umarmen. Sieh mal, wie abstrakt Geschlechtsverkehr im Tierreich ist. Und diese Hinwendung zueinander, die hat auch etwas mit der Anatomie der Arme zu tun. Das würde ich als philosophischen Aspekt bezeichnen. Das lernt man alles. Bei uns geht es nicht darum, Techniken zu lernen, um jemand anderen zu verletzen, sondern um sich selbst etwas Gutes zu tun. Und Im Selbstverteidigungsfall kann ich die natürlich auch benutzen. Nach den Fallübungen kommen die Partnerübungen. Das ist das erste, was man zusammen macht. Die haben einen sehr starken Gesundheitsaspekt, auf ganz vielen verschiedenen Ebenen. Und gleichzeitig einen sehr sozialen Aspekt, weil man da testet: Wie geht man miteinander um?

Das ist etwas, wo viele Leute Scheu vor haben – weil man jemanden anfassen muss. 

Da muss man das Anfängertraining gut aufbauen, dass das als sehr natürlich rüberkommt und auch als angenehm erlebt wird. Diese Berührungs- und Kontaktangst ist gerade hier in unserem Umfeld extrem verbreitet. Wenn die Leute an Kampfsport denken, denken sie an Konfrontation, Gegner sein, einander weh tun, Verletzungen. Dazu wollen wir eine Alternative anbieten.