Wer lernen will, ist willkommen

Was ist Shinson Hapkido? Woher kommt diese Kampfkunst? Und was macht man da überhaupt? Dies ist der dritte Teil (hier der zweite Teil) eines Interviews mit Sabomnim Uwe Bujack über die Bedeutung, die Geschichte und darüber wer was warum trainiert. Das Interview führte Kirsten Rick im Juni 2015.

Wer trainiert?

Wer trainiert alles? 

In Hamburg bieten wir für jeden etwas an, von den Krabbelkindern bis zu den Senioren. Und das ist genau das Spektrum. Die Idee ist: Shinson Hapkido ist wie Wasser. Das heißt, ein Medium, etwas, das auch selber beweglich ist und so an viele Situationen angepasst werden kann. Dadurch kann eigentlich jeder trainieren. Die Reduktion auf den Kern, auf das Wesen menschlicher Bewegung lässt dann viele verschiedene Ausformungen zu. Dadurch kann man unheimlich viel anpassen. Für Helga, die mit 82 Jahren Blaugürtel-Prüfung macht und für Dreijährige, die sich frei im Dojang bewegen und darüber von alleine mitkriegen, was dort passiert.

Es kann also jeder zum Training kommen und das Training wird individualisiert?

Ja, das ist der Anspruch. Das ist aber nicht immer ganz einfach. Eigentlich kann man sagen, das ist Gemeinschaftstraining und da kann von klein bis groß, von talentiert bis untalentiert, jeder kommen. Im Idealfall kriegt der Trainer das hin, das so zu harmonisieren, dass jeder etwas davon hat. Es gibt aber auch spezielle Gruppen. Kinder haben eine andere Energie als Erwachsene und es macht für Kinder auch mehr Spaß, mit anderen Kindern zu trainieren. Das ist klar. Und trotzdem sind auch diese Kindergruppen gemischt, da sind zum Beispiel auch Kinder mit Down Syndrom. Dann haben wir z.B. diese Palette-Gruppe, die mit Substituierten aus dem Drogenmilieu arbeitet. Die haben wir deshalb aufgemacht, weil das für die niedrigschwelliger und einfacher ist, in so eine Gruppe zu gehen, wo sie wissen, sie können auch mal fehlen und nach dem fünften Mal fehlen trotzdem wiederkommen. Das würden die sich in einem normalen Anfängertraining einfach nicht trauen. Deshalb gibt es das. Diese Idee wurde an uns herangetragen. Genauso die Idee mit der Krabbelgruppe: Es gab Leute mit kleinen Kindern und was macht man mit denen? Das haben wir etwas angeboten. Oder die Senioren, die neben dem Dojang wohnen, kamen an und fragten: Was macht ihr da eigentlich? So kam es zum Seniorentraining. Das ist ein sehr wichtiges Prinzip, weil diese Integration auch von körperlichen Erfahrungen, von emotionalen und geistigen Erfahrungen in seinem Alltag, von sich selber in seinem Bild, beinhaltet ja auch eine Integration auf einer sozialen Ebene, auf der Gemeinschaftsebene. Das heißt, wenn man irgendwo etwas tut, dann tut man das ja nicht auf einer Insel, sondern immer im Zusammenhang. Man muss sich mit dem Ort auch auseinandersetzen. Und entweder man kapselt sich ab, auch räumlich oder finanziell, oder man ideologisiert und missioniert oder man versucht, den Leuten zu begegnen, lädt sie ein. Das ist dieses Wasser-Prinzip: Das Anpassung überall funktionieren sollte.

Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen? 

Nur eine: Die Lust, zu lernen. Das ist wichtig. Es gibt in der Dan-Prüfung immer die Frage: Wem darf man den Zutritt zum Dojang verweigern? Nur jemandem, der nicht Do trainieren will. Aber wodurch äußert sich das? Indem er andere im Training schädigt. Das ist der einzige Grund. Wenn jetzt ein Mörder kommt und sich im Dojang vor der Polizei verstecken will, kann ich natürlich sagen: Bitte geh! Aber wenn der kommt und sagt: „Ich will etwas lernen“, dann muss ich ihn, von diesem Ideal her, gegen die Polizei schützen. Das ist wie in einer Kirche. Ich hatte die Situation wirklich schon. Ein Skinhead, der aus der Jugendhaftanstalt geflohen war und eine Frau besucht hatte, die bei uns trainierte. Er wusste nicht, wohin, da hat sie ihn zum Training mitgebracht. Da stand dann ein straffälliger Skinhead vor mir und ich habe überlegt: Was machst du nun mit dem? Okay, wir trainieren jetzt. Ich habe natürlich auch ein bisschen Gehirnwäsche gemacht, habe immer auf den Friedensaspekt hingewiesen, aber ansonsten ganz normales Training gemacht. Dann ist er wieder in den Knast zurückgegangen, freiwillig. Und ist später wiedergekommen, hat noch ein paar Jahre trainiert, ist dann aber verschwunden.

Hast Du denn schon jemanden rausgeschmissen?

Ja. Leute, die nicht zuhören wollten. Die immer dasselbe gefragt haben, aber nicht aus einer Not heraus, sondern aus Provokation. Die wollten es wissen. Ich habe sie nicht rausgeschmissen, aber ich habe denen gezeigt, wie es geht.

Du hast geantwortet?

Ja, ich habe geantwortet. Das hat auch zu Stress geführt. Es kommen immer wieder Leute, die die Technik haben wollen. Die gehen sehr schnell wieder, weil die merken, das ist bei uns nicht so einfach. Die haben nichts davon. Wenn sie ein Jahr lang trainieren, haben sie immer noch nichts gelernt.

Das ist ja kein Straßenkampf.

Genau. Die Polizei hat uns auch schon oft besucht, weil die wissen wollten, was wir machen. Eine Kampfkunstschule auf dem Kiez, das ist ja schon mal schiefgegangen. Dacascos Kung Fu, da haben viele Luden trainiert und Gangs aufgebaut, das war in den 80er Jahren. Dacascos hat aufgehört, ist weggegangen aus Hamburg. Ich glaube, das war so mit ein Grund, warum die Polizei am Anfang kam. Die haben sich nicht vorgestellt: Wir sind die Polizei. Das waren nur auffällig kräftige, freundliche und aufmerksame junge Männer, die beim zweiten Mal wieder weg waren und die so sehr nach Spitzel aussehen. Das sind so Fälle, wo man sagen würde, wenn man es mitkriegt: Okay, tut mir leid, aber das ist nicht dein Zuhause hier. Aber ansonsten kann jeder kommen.

Die Gründe

Was für Gründe gibt es, zu trainieren? 

Für viele Leute ist Gesundheit ein Thema, Vitalität ist ein Thema, Unsicherheitsgefühl, Angstgefühle, Bedrohungsgefühle. Aber bei vielen ist es auch etwas Positives: Die Lust auf etwas. Die sehen das Haus, die sehen, was passiert, es spricht sie an und sie fühlen sich davon angezogen.

Und Deine Gründe?

Bei mir persönlich: Ich habe als Kind Judo gemacht, 12 Jahre lang, bis 19. Ich habe Leistungssport gemacht, ich habe viel verloren, viel eingesteckt. Irgendwann habe ich angefangen, zu gewinnen, habe richtig trainiert.

Judo ist, im Gegensatz zum Shinson Hapkido, ein Wettkampfsport. 

Ja, das habe ich auch gemacht, Wettkämpfe. Und ich habe damit aufgehört, weil mein Körper sich gegen dieses Leistungsding wehrte. Und mein Inneres auch. Beim Training auf einem bestimmten Niveau gibt es Auswahllehrgänge. Schon beim Training wird man von manchen Leuten fertig gemacht, weil die wissen, du landest bei denen in der Gewichtsklasse in der Deutschen Meisterschaft. Die sind so drauf, die versuchen, einem Angst zu machen. Damit man, wenn man auf die trifft, schon mal beeindruckt ist, Angst hat und dann nicht so kämpft, wie man eigentlich könnte. Solche Strukturen gibt es, das ist da sehr ausgeprägt. Ich hatte keine Lust mehr auf diesen Kampf. Ich habe Rheuma bekommen, meine Gelenke wurden immer dicker, sind geschwollen, ich habe Schmerzen gehabt.

Das waren ja massive Warnzeichen.

Ja. Und dann habe ich aufgehört, bin aus einer sehr chaotischen Lebenssituation heraus nach Hamburg gekommen, habe gesagt: ich fange etwas Neues an. Ein neuer Ort, ein neues Studium, alles neu an. Und ich wollte mich bewegen. Da war ich kurz beim Judo, habe mich sofort verletzt. Richtig verletzt, so dass ich mein Knie über Jahre nicht bewegen konnte. Und bin dann zu einer Ki-Heilerin gekommen, in einem Frauenselbsthilfeladen in der Marktstraße. Sie hat dieses Reiki mit mir praktiziert und das hat sofort angeschlagen. Das war das erste Mal, wo ich diesem Thema Ki begegnete und war total fasziniert. Und ich habe bei meinem Job, den ich damals auf der Reeperbahn machte, in einem Restaurant …

Du warst in der Creperie, nicht wahr?

Genau. Da habe ich Thomas kennen gelernt. Und Thomas hat damals den ersten Hapkido Ausbildungslehrgang gemacht. Thomas und ich hatten direkt einen Draht zueinander, wir sind auch gleich alt. Ich hatte relativ viel Trainingserfahrung durch die Judo-Karriere, hatte relativ viel Know-how, weil ich ja selber auch unterrichtet habe. Wir haben uns ausgetauscht und ich hatte plötzlich Lust, das kennenzulernen. Ich habe vorher mal getanzt, mal Aikido gemacht, das war alles nicht das Richtige. Und da habe ich plötzlich etwas gespürt. Mich hat dieses ganze Kampfkunst-Thema überhaupt nicht mehr interessiert, null, aber dieses Energie bewegen und dieses Kathartische auf der einen Seite und das ein bisschen schamanisch anmutende. Auf jeden Fall machte es direkt Klick. Thomas hat ganz schnell kapiert, dass er mich mit Ko in Kontakt bringen muss. Ich bin ein paar Monate später schon zu ihm nach Darmstadt gefahren und habe Sonsanim Ko kennengelernt und direkt eine sehr enge Beziehung zu ihm gehabt. Was heißt eng – da war etwas Persönliches. Das ist eigentlich der Grund, warum ich dabei geblieben bin. Ich hatte vorher Philosophie studiert, habe immer dieses Bewegungsthema gehabt, da konnte ich viele Sachen miteinander verbinden. Das war mein persönlicher Grund, warum ich damit angefangen habe. Mich hat immer diese Entwicklung einer Gemeinschaft beschäftigt, auch in den autonomen Zirkeln, in denen ich mich bewegt habe.

Das Training

Zu den praktischen Aspekten des Trainings: Was genau wird unterrichtet?

Ein normales Training beginnt mit dem Grüßen, einfach, um den Eingang zu finden. Dann folgt eine Harmonisierungsgymnastik, die aus spielerischen Übungen besteht. Das Ziel ist, herauszufinden, wie man drauf ist, Körper und Geist miteinander in Kontakt zu bringen, aber auch mit der Gruppe und dem Raum Kontakt aufzunehmen. Das gibt auch den Trainern die Möglichkeit zu sehen, wie die Stimmung ist. Dann folgt eine kurze Meditation, danach Grundgymnastik. Die Grundgymnastik kann man variieren, da kann man Gesundheitsaspekte einbauen oder den Schwerpunkt auf Kondition legen. Dann geht es los, technisch gesehen, mit Stellungen und Atemtechniken. Die gehören zu den Grundtechniken. Die Stellungen und Haltungen sollen das Körperbild komplettieren. Das ist ein sehr wichtiger und sehr komplexer Aspekt. Der wird nur ansatzweise erklärt und viel praktiziert. Diese Haltung, die man hat, fließt natürlich in alles andere ein. Dann kommen die Atemtechniken, das ist ein Versuch, Energie zu bewegen, Energie zu spüren, Energie aufzubauen. Am Anfang lernt man fünf Grundtechniken, die man über mehrere Jahre praktiziert, dann fängt man an zu variieren. Dann bewege ich den Oberkörper und die Hände. Die Frage: Wie benutze ich das, um etwas aufzunehmen und umzuleiten, also Verteidigungstechniken. Oder um Impulse nach aussen zu setzen, von verschiedenen Körperteilen, Körperrichtungen. Dasselbe kommt dann mit den Füßen und Beinen. Wobei die Hände auch einen ganz bestimmten Gesundheitsaspekt haben, der mit dem Oberkörper zu tun hat, mit Lunge, Herz, Hormonkreislauf und solchen Sachen. Während die Füße und die Beine sehr viel mit dem Unterbauch, also Leber, Magen, Milz, Pankreas, Blase, Geschlechtsorgane zu tun haben.

Die Hand- und Fußtechniken wirken also auf die Organe?

Ja, die wirken über die Meridiane und auch direkt auf die Organe. Als Beispiel: Liegestütze kann man in einer Kaserne so machen, dass sie die Persönlichkeit zerstören. Das ist eine typische Demutsübung. Man kann Liegestütze aber auch so anleiten, dass jeder Lust hat, ein paar davon zu machen. Die wirken natürlich über die Muskulatur, über den Brustkorb, direkt in den Herzbereich. Und auch der Handballen selber hat bestimmte Punkte, die mit dem Herz zusammenhängen. Dieses Kraft geben aus der Mitte heraus, das schult sämtliche Systeme.

Liegestütze geben den Herzen Kraft, könnte man verkürzt sagen?

Ja, zum Beispiel. Aber man darf sie nicht destruktiv, also als Strafe einsetzen. Man darf sie auch nicht übertreiben. Man kann sie auch auf Knien machen – um das Herz zu stärken, nur als Beispiel. Alle Tritte bewegen die Hüfte. Die Hüfte bewegt ganz viele Strukturen im Unterleib, die ganze Muskulatur, die Hüftbeuger, den ganzen Apparat, der an der Lendenwirbelsäule ansetzt. Gleichzeitig ist immer das Zwerchfell beteiligt. Wenn man das anatomisch analysieren will: Die Haltemuskulatur der Hüfte und das Zwerchfell sind so eng miteinander verknüpft, dass das wirklich eine Kommunikation zwischen unten und oben ist. Das heißt, die Lunge weitet sich, das Zwerchfell drückt die Bauchorgane, die massieren sich, die Bauchorgane drücken die Bauchdecke, die drückt wieder hoch. Das Zwerchfell ist der Kommunikator zwischen oben und unten. Je mehr man oben macht, umso mehr trainiert man das untere automatisch mit – und anders herum. Man setzt Schwerpunkte und versucht das immer wieder zu harmonisieren – so ist das Training aufgebaut: Obere und untere Körperhälfte und Fallübungen. Fallübungen trainieren den ganzen Körper, vorne, hinten, links, rechts. Zu jedem Programm – also Handtechnik, Fußtechnik, Fallübungen, die Su-Übungen (Befreiungstechniken) – lernt man als Lehrer auch: welche Gesundheitsaspekte stecken da drin? Welche technischen Aspekte sind da drin? Und welche philosophischen Aspekte sind da drin? Ja, die Techniken haben auch philosophische Aspekte. Ein Beispiel: Der Vorwärtssturz als Fallübung stärkt das Herz, die Brust, aber du hast auch diese Kraft, um jemanden zu umarmen. Und das Umarmen ist ja etwas sehr Menschliches. Tiere können sich nicht umarmen. Sieh mal, wie abstrakt Geschlechtsverkehr im Tierreich ist. Und diese Hinwendung zueinander, die hat auch etwas mit der Anatomie der Arme zu tun. Das würde ich als philosophischen Aspekt bezeichnen. Das lernt man alles. Bei uns geht es nicht darum, Techniken zu lernen, um jemand anderen zu verletzen, sondern um sich selbst etwas Gutes zu tun. Und Im Selbstverteidigungsfall kann ich die natürlich auch benutzen. Nach den Fallübungen kommen die Partnerübungen. Das ist das erste, was man zusammen macht. Die haben einen sehr starken Gesundheitsaspekt, auf ganz vielen verschiedenen Ebenen. Und gleichzeitig einen sehr sozialen Aspekt, weil man da testet: Wie geht man miteinander um?

Das ist etwas, wo viele Leute Scheu vor haben – weil man jemanden anfassen muss. 

Da muss man das Anfängertraining gut aufbauen, dass das als sehr natürlich rüberkommt und auch als angenehm erlebt wird. Diese Berührungs- und Kontaktangst ist gerade hier in unserem Umfeld extrem verbreitet. Wenn die Leute an Kampfsport denken, denken sie an Konfrontation, Gegner sein, einander weh tun, Verletzungen. Dazu wollen wir eine Alternative anbieten.

Dies ist der dritte und letzte Teil des Interviews. Hier das vollständige Interview.